Thomas Rentmeister

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Christian Krausch: Thomas Rentmeister. braun

Review zur Ausstellung „Thomas Rentmeister. braun“, Kölnischer Kunstverein, Köln, 02.02. – 25.03. 2001; in: Kunstforum International, Bd. 154, April–Mai 2001, S. 402f.

Schon von außen durch die Scheiben des Kölnischen Kunstvereins betrachtet, lenken die Arbeiten von Thomas Rentmeister, geboren 1964 in Reken, die Aufmerksamkeit auf sich. Insbesondere eine mehrere m2 große amorphe braune Masse auf dem Boden des Raumes reizt die Fantasie dahingehend, Bilder von Erdaufschüttungen, Exkrementhäufungen oder einer Lastwagenladung Nuss-Nougat-Creme fiebrig durch das Gehirn schießen zu lassen. Konträr dazu erscheint ein großer metallener Kubus aus der Entfernung seltsam streng und klar, andere Objekte wiederum zerbrechlich und weich. Allen gemeinsam ist die Farbe Braun in unterschiedlichem Valeur, die der Ausstellung ihren Titel verleiht.

Im Inneren des Kunstvereins löst sich die erste Spannung beim Einatmen süßlicher Düfte, die unverkennbar die Genese der braunen Massen zu erkennen geben. Mehrere Tonnen samtig-brauner Nussenia-Creme wechseln sich ab mit einer etwas geringeren Menge Pâte à Tartiner, die nicht nur wesentlich dunkler ist, sondern sich auch durch eine festere Konsistenz auszeichnet. Schokolade also ist es (vereinfacht gesagt), nichts anderes, mit Händen und Füßen in einem sich durchaus als sinnlich vorzustellenden Akt des Künstlers zu weitläufigen Arbeiten geformt, mal an wabernde Fluten, mal an fremde Kontinente erinnernd. Dem Ideenreichtum sind keine Grenzen gesetzt, scheint sich doch der angenehme Geruch auf die Vorstellungskraft positiv auszuwirken – ein Effekt, der vom Künstler durchaus erwünscht ist, wenn nicht sogar gezielt genutzt wird. Rentmeister spielt hier an auf die menschliche Konditionierung „Schmeckt süß – bin glücklich“, was wiederum zu etlichen chemischen Vorgängen im Gehirn und daraus resultierenden positiven Wahrnehmungsprozessen führt. Dass die Farbe braun dabei zahlreiche andere Assoziationsmöglichkeiten erlaubt, liegt (abermals) ganz im Sinne des Künstlers, der den Betrachter damit in einen früchtetragenden Zwiespalt der Empfindungen lotst. Denn wenngleich Braun neben süß auch Wärme und Geborgenheit signalisiert, und als Farbe körpereigener Ausscheidungen eng mit der Biologie des Menschen verbunden ist, so sind gleichzeitig die Gedanken an besagte Exkremente ebenso negativ belegt, wie beispielsweise die politische Konnotation mit der Farbe braun.

Thomas Rentmeister weiß um die Wirkung seiner Arbeiten auf die Emotionalität des Betrachters, der sich immer auf ein Wechselspiel der Gefühle einlässt. Schon seine frühen Skulpturen aus hochglanzpolierten, dünnwandigen Polyesterhohlkörpern vom Beginn der 90-er Jahre, große amorphe Körper, die an gigantische schmelzende Schokopastillen oder kriechende, wankende Wesen denken lassen, führen zu einer Verunsicherung, da allein die rätselhafte Formgebung Unbehagen auslöst. Zwei solcher Körper befinden sich auch in der Kölner Ausstellung und man wird das Gefühl nicht los, dass sie unmerklich den Raum im Zeitlupentempo zu durchziehen scheinen. Schon dieses (trügerische) Gefühl lässt dem sensiblen Besucher ihre unmittelbare Nähe zur Herausforderung werden, da er sich unvermittelt von den Arbeiten berührt wähnt. Die tatsächliche Annäherung des Betrachters an die meist hüft-, knie- oder wadenhohen Skulpturen wiederum wird in ihrer problematischen Beziehung noch durch die spiegelgleiche Wirkung der glänzenden Oberflächen unterstrichen. Auf ihnen findet sich bizarr verformt die Reflexion des Raumes mitsamt Betrachter, wobei die eigentliche Grenze zwischen Realität und Schein schwer nur auszumachen ist. Eigentlich angezogen und fasziniert vom verzerrten Bild auf der Hülle der Skulptur, wird derjenige in seinem Drang die Arbeit zu berühren gehemmt, der plötzlich eine andere unbekannte Welt innerhalb der gewölbten Kugel zu erkennen meint. Die Lust zu „Begreifen“ wandelt sich in Respekt vor der geheimnisvollen Aura dieser Arbeiten, die weit mehr Aussage beinhalten, als nur das immer wieder zitierte Spiel mit Oberfläche. Sie ist es zwar, die die Blicke auf sich lenkt, doch besteht die eigentliche Wirkung der Skulpturen in der beunruhigenden Beziehung, die sich zwischen ihnen und dem Betrachter entwickelt.

Überprüfen lässt sich das emotional gesteuerte Wechselspiel zwischen Rezipient und Kunstwerk an einer aktuellen Wandarbeit aus gespannter LKW-Plane. Bereits 1990 zieht Rentmeister vorgefertigte Planen verschiedener Farben auf große Holzrahmen, dabei auf eine absolut glatte und durch das Material seidenmatt glänzende Oberfläche achtend. Auf ihr lassen sich die schemenhaften Konturen des Umraumes sowie des Betrachters erkennen, wobei dieser in seinem verschleierten Abbild deutlich an Materialität verliert. Die eigentliche Fläche der Plane löst sich scheinbar in eine Zone der Ungewissheit auf, die, will sie ergründet werden, des genauen Studiums bedarf. Wie bei den blasenartigen Skulpturen erfolgt dabei diese Erforschung mehr über den Bauch, als den Verstand, der zunehmend an seine Grenzen gerät.

Immer wieder sind es Grenzen, die Thomas Rentmeister durch seine Arbeiten aufgreift und hinterfragt. Neben den immateriellen Grenzen zwischen Anziehung und Abstoßung, die auf psychologischer Basis ergründet werden, arbeitet er konkret mit den Übergängen zwischen Innen und Außen, wie sie sich an den Skulpturen und Wandarbeiten aus LKW-Plane nachweisen lassen. Die damit verbundene Standortbestimmung des Betrachters findet sich zudem noch an dem bereits erwähnten braunen Würfel aus Metallblech, der seinen Platz zwischen den unterschiedlichen Schokoladenmassen gefunden hat. Seine wechselnde Oberfläche aus Sicken und erhabenen Flächen thematisiert auf schlichte Weise die Frage der Grenze zwischen Innen und Außen, die noch durch einen kleinen integrierten, ständig summenden und scheinbar nutzlos Luft aus dem Inneren des Würfels nach außen pustenden Ventilator unterstrichen wird. Der geschlossene Container, ursprünglich geplant als Modell für eine monumentale Skulptur im öffentlichen Raum in Form einer funktionslosen Halle ohne Fenster und Türen in einem Industriegebiet, führt nunmehr als autonome Arbeit zu einer im Sinne von Rentmeister typischen Standortbestimmung zwischen Objekt und Betrachter. Vermeintliche Eindeutigkeit wird auf hintergründige Weise unterwandert, um sich permanent neu definieren zu müssen.

Der braune Kubus stellt überdies eine formale wie auch inhaltliche Verbindung innerhalb der in sich schlüssigen Bespielung des Ausstellungsraumes dar. Neben der erwähnten Funktion als Blickfang von außerhalb, ist der Würfel einziges wirklich erhabenes raumgliederndes Element in der ansonsten meist boden- oder wandbezogenen Präsentation. Seine Formensprache findet ihr Echo in den Umrahmungen der seitlichen Fenster, womit nochmals die übergreifende Innen-Außen-Thematik der gesamten Ausstellung aufgegriffen wird. Wie alle anderen Arbeiten im Raum, so etwa die 96 mit variierendem Kaffee-Milch-Gemisch gefüllten und zu einer langen Reihe auf den Boden entlang der rechten Längswand gestellten Tassen, kann er aber auch allein als Objekt für sich betrachtet werden, das frei ist von jeglichem vorgegebenen interpretatorischen Ansatz. Für Thomas Rentmeister ist diese Tatsache von hoher Bedeutung, da aus ihr erst die Fülle der zahlreichen Rezeptionsmöglichkeiten erwächst.

Vor diesem Hintergrund erscheint noch ein großformatiges Foto mit dem Motiv eines Muttermals am Schienbein des Künstlers als Ausgangspunkt vielfältiger Interpretationsansätze. Abgesehen von der Farbe Braun, die es mit den übrigen Arbeiten verbindet und der auf neue Art durchspielten Grenzthematik (Haut), stellt es unvermittelt eine beunruhigende Beziehung zum Betrachter her. In seiner gewaltigen Größe und Fremdheit verliert das Muttermal an Harmlosigkeit, was aufschrecken lässt. Unweigerlich nötigt die Arbeit Fragen nach dem „Was ist es?“ und „Was macht es mit mir?“. Die Ausstellung von Thomas Rentmeister im Kölnischen Kunstverein hilft, dazu zahlreiche Antworten zu finden.

© Christian Krausch

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